Liebe Freunde des gepflegten Rennberichts, es ist mal wieder soweit! Ich hoffe Ihr habt wieder (?) Spaß,
Beste Grüße TOM
My happy day in hell
Die Annäherung
Die Distanz zwischen München und unserem Ziel, Llanberies in Wales, beträgt mit dem Auto etwa 1.500 Km. Wales ist unser Ziel, weil dort mein Saison-Höhepunkt, ein Langdistanz-Triathlon mit dem martialischen Namen 'the brutal', auf mich wartet.
Neben der Schwierigkeit der Strecke, 2.500 zu bewältigende Höhenmeter auf dem Rad sowie etwa 1.400 Höhenmeter zu Fuß inklusive Auf- und Abstieg des höchsten Berges von Wales - dem Mount Snowdon- im Dunklen gilt meine größte Sorge dem Wetter. Im 'race-handbook' als 'unpredictable' ausgewiesen, macht mir die insbesondere die erwartete Wassertemperatur von 12 - 14 Grad als bekennenden Sommerfrischler mit Betonung auf Sommer Magenschmerzen.
Jeder KM gen Wales beruhigt meine Nerven. Statt problematischer Regenfahrt kennzeichnet der Kampf zwischen Jana und mir um die Hoheit der Klimaanlage die Autobahnfahrt. Sonnige 20 Grad in Birmingham, also 100 Meilen vor dem Ziel lassen mich relaxen. Ich mach mir aber immer einen Kopf! Noch 50 Meilen, in Shrewsbury verlassen wir die Autobahn, Sonne, 20 Grad. 90 Minuten später spielen wir 'Schnick-Schnack-Schnuck' um den armen Tropf zu ermitteln, der angesichts von 9 Grad und heftigen Regen den wohligen Mief des Autos verlassen muss um herauszufinden, ob der B&B-Vermieter da ist. Ich verliere und muss raus. Während ich klingele und fröstelnd warte, beobachte ich eine Gruppe von Mädchen, die regenschirmgeschützt im Spagetti-Top gut gelaunt die Straße runterlaufen. Ich fühle mich unglaublich weicheirig.
Nicht der einzige Unterschied des individuellen Empfindens zwischen uns Deutschen und dem Homo britannicus vulgus.
Als ich 2 Tage später nach einem Probeschwimmen im See im Neo mit Badehaube - es war zu kalt um den Neo am See auszuziehen - die High Street, werde ich freundlichst gegrüßt, obwohl das Bild tatsächlich vermutlich etwas bizarr ist. Bei uns würde ich angeschaut wie jemand, der um 8:15 morgends im Trenchcoat unbehost das Wäldchen gegenüber der Grundschule verlässt.
Das Schwimmen war nicht so schlimm, sprich kalt, wie befürchtet. Nachvollziehbar nachdem ich die Photos gesehen habe, die Jana von mir im Neo gemacht hat. Das Profilbild bringt die erschütternde Wahrheit ans Tageslicht. Ich sag mal so: wäre ich Hamster wäre ich die kommende Eiszeit bestens gerüstet. Mann ey, so ne Plauze! Na ja, diesmal ist Biopren ja angesagt.
race-day!
Der Wettergott meint es gut, sehr sehr gut mit uns. Zum ersten Mal in dieser Woche zeigt sich keine Wolke am Himmel, die Vorhersage sagt Sonne für den gesamten Samstag voraus, nur für die Teilnehmer des double-ironman hält der Sonntag ggf. Regen bereit. Boa ey, angesichts deren Distanz komme ich mir extrem erneut weicheirig vor.
Die Temperatur liegt mit erwarteten 10 Grad genau im Wettkampfjahresmittel. Angefangen hat das Wettkampfjahr mit -22 Grad beim König-Ludwig-Langlauf, vor 4 Wochen in Vichy waren muckelige 42 Grad angesagt. Von den 10 Grad kann ich um 6 morgens allerdings nur träumen. Der erste Bodenfrost des Spätsommers macht die Warterei vor dem Klohäuschen zu einer frischen Angelegenheit. Und ich stehe da oft und lang. Um 10 Minuten vor 7 muss ich widerwillig vom Klo, da kurz vor dem Start eine verpflichtende letzte Einweisung ansteht.
Pünktlich stehe ich rennfertig da. Obwohl ich nochmal auf den Pott hätte müssen! Hätte ich auch können, da rennfertig heute heißt mit Silikonstöpsel in den Ohren. Immerhin höre ich, dass was gesagt wird. Was allerdings nicht. Unruhe um mich herum lässt vermuten, dass es los geht. Ich schlüpfe aus den Schuhen und gebe sie Jana; Hölle ist der Boden kalt! Jäh wird mein Sturm gen Start gebremst, da noch einige Gedenkminuten eingelegt werden müssen, nicht für den unbekannten Soldaten sondern für den bekannten Vollspack, der seinen Zeitmesschip vergessen hat und noch holen muss. Da hätte ich nochmal locker auf den Pott, aber das hatten wir ja schon.
Um 7:07 geht es los. Das Wasser hat eine Temperatur, bei der im zivilisierten Teil der Triathlonwelt der Triathlon zum Duathlon mutiert. Hier sind frische 12,7 Grad kein Grund zum weiteren Nachdenken. Die Erhöhung der Temperatur in meiner direkten Umgebung um 0,01 Grad auf Grund weiterer Flüssigkeitszufuhr verpufft schnell. Des Bodenfrosts wegen dampft der See trotzdem, was die Orientierung zur ersten Boje in 500 Meter Entfernung etwas zur Schnitzeljagd mutieren lässt. Macht bei den Temperaturen ja nichts wenn man etwas länger im Wasser rumirrt. Wobei, ich würde lügen wenn ich die Temperatur als schlimm beschreiben würde. Ging erstaunlich gut. OK, die Arme sind nicht wirklich geschmeidig rübergekommen, ich habe mit 1:18 die längste Schwimmzeit meiner Tri-Zeit hingelegt, aber wirklich gefroren habe ich auch nicht wirklich. Erstaunlich!
Aus dem Wasser raus war ich der Einzige der in die Wechselzone gelaufen bin. Die Briten haben echt die Ruhe weg, mussten allerdings auch nicht das 'chicken pakora' vom Vorabend hinter sich lassen. Gut so, ich konnte gleich die Sitzung einleiten. Weiter zum Wechselzelt, das für Männlein und Weiblein gemeinsam gedacht war. Erklärung des Veranstalters: bei der Wassertemperatur ist eh kein Unterschied mehr sichtbar. Coole Typen die!
Rauf auf's Rad, erstmal was Essen. Wegen des Frosts ist der Riegel tiefgefroren und nicht kaubar. Hoffentlich ist das Gel noch flüssig. Ist es, geradezu unbeeinflusst von der Temperatur sogar gewohnt dünnflüssig. Mir kommt der Glykogenwein aus Podersdorf in den Sinn, ob der vermeintlich enthaltenen Chemie habe ich endlich auch die Erklärung, warum bisweilen der Urin im Dunklen so lustig leuchtet. Triathlon bildet und lässt dem Teilnehmer auch komplexe Zusammenhänge begreifen, soviel ist klar. Die Radstrecke ist so ziemlich die schönste, die ich je abfahren durfte. 4 Runden a 30 Meilen um den Snowdon, alles im Nationalpark. Die Laubfärbung hat schon etwas eingesetzt, die Sonne hat ein unglaublich weiches Licht gemacht, ich musste mich zwingen mich auf das Rennen zu konzentrieren. Im ersten Teil konnten wir aufs Meer und Anglesey schauen, tolle Ausblicke. Einige Teilnehmer haben angehalten und mit dem Handy Photos gemacht. Don't hurry!
Einschub: Der geneigte Partner einer Gala-Leserin weiss, dass Prinz Harry auf Angelsey stationiert ist (QS-Kommentar einer Gala-Leserin: wenn der geneigte Partner richtig zuhören würde, wüsste er, dass es sich um Prinz William handelt).
Die Gala-Leserin kann hoffen vom Snowdon von Harry (Korrektur: William) gerettet zu werden, was der genervte Partner ebendieser Gala-Leserin seit Wochen täglich hört (Anmerkung: total übertrieben). Im Gegenzug wird dem genervten Partner interessante Einblicke in die Physiognomie von Kate gerichtlich verwehrt. Auch vergleichende Studien im Supermarkt, Abteilung 'men's literature', genannt 'Britains biggest boobs' lassen sich interpartnerschaftlich nicht durchsetzen. Von wegen Gleichberechtigung! Seufz. Einschub Ende.
Auch auf der Radstrecke geht es hemdsärmelig zu. Abgesperrte Radstrecke, KM-Schildchen, regelmäßige Verpflegung, Helfer auf der Strecke? Alles Firlefanz. Die Strecke wird durch 5 (!) Pfeile markiert, es gibt eine Verpflegung, an der angehalten werden und zwischen einer Riegelsorte und Bananen gewählt werden kann sowie Wasser oder Iso selbst gezapft werden kann. Auch ein Schwätzchen mit dem Helfer oder einem Athleten, soweit vorhanden, geht. Ich genieße diese Organisation. Heute, wo Wettkämpfe zunehmend von Private-Equiety-Unternehmen (Ironman) oder Event-Argenturen ausgerichtet werden, denen es nicht um den Sport sondern ausschließlich um Dollars geht. Wenn morgen Sackhüpfen populär wird, machen die dann halt Kurz-, Mittel- und Langdistanzsackhüpfen mit einer WM auf den äußeren Hebriden. Auch die Organisatoren vom Brutal schauen, dass nicht nur ein Bier und ein Schälchen Pommes überbleibt, aber der Mensch und der Sport haben eine deutlich zentralere Position. Ich genieße das.
Insgesamt läuft es gut auf dem Rad. Der 8 Km lange Anstieg zum Pen-y-Pas geht geschmeidig, lediglich der Ausflugsverkehr nervt etwas, ich kann es trotzdem bergab krachen lassen. Jana verpflegt mich top mit Käsebrötchen, ich kann alkfreies-Bier (nach der 2. Laufrunde ist alkfreie-Bier im örtlichen Spar ausverkauft) zum Laufen in Auftrag geben, alles paletti. Nach der dritten Runde entsorge ich noch den 2ten Teller chicken-pakora, so wie das Hühnchen rausdrängelte, war da wohl noch Restleben vorhanden. Damit sollte es aber für heute gut sein, weitere Entsorgungsaktionen wären ein Vorgriff auf das morgige Frühstück.
Insgesamt war der Radsplit klasse. 26,5er Schnitt, die neue Taktik meines Trainungs-Gurus Joe Friel geht primstens auf. Genannt die 50-40-30-20-10-Regel bedeutet sie, dass je niedriger die Geschwindigkeit ist, die Intensität erhöht werden soll. Bergauf knallen, bergab wenig zur Erhaltung des Speeds machen. Funzt auch in der Praxis.
Lange befürchtet, nach 190 Rad-KM unvermeidbar, geht es nun zum Laufen. 3 Runden a 5,3 Meilen um den See, zuerst flach, dann 3 Km bergauf, links durch die Pampa über Stock und Stein bergab zum See, dann wieder über Schieferplatten, Wurzeln etc. hoch und wieder runter. Da ist keiner gelaufen, echte Off-Road-Arbeit, aber mit atemberaubenden Ausblicken über den See, auch auf den Höhepunkt des Wettkampfes, dem Snowdon. Mein Zeitplan funzt, wunschgemäß starten wir noch im Hellen. Wir? Der Part auf den Snowdon darf nur mit Begleitung angegangen werden. Du dackelst zum Doktor, der prüft, ob Du schon lallst oder noch sprichst, wirst eingecheckt und ab geht es. Ich freue mich, diesen Teil mit Jana teilen zu können.
Langsamer als zügig gehen wir den unteren Teil, asphaltierte 32 Grad steil, um nach einer Meile wirklich den Llanberies-Path anzugehen. Eine richtige Bergwanderung liegt vor uns. Im Hellen schaffen wir es bis zum Halfway-house, wo wir uns beim Doc melden müssen, ab da geht es stirnlampenbeleuchtet weiter. Ich bin mir nicht sicher, was mir mehr den Atem raubt, der Anstieg oder der Ausblick. Bei sternenklaren Himmel und schönem Mond liegt uns Wales zu Füßen, überall auf dem Weg leuchten die Stirnlampen der Kollegen, einfach sensationell schön. Trotzdem bleibt es eine Plackerei, der Wind frischt merklich auf, es wird knackig kalt. Nach 1:45 sind wir oben, trockene Klamotten an, beim Doc melden, um runter geht es. Immer wieder muss ich die Gegend anschauen und freue mich, dass ich diesen tollen Wettkampf ausgesucht habe. Obwohl, Wettkampf. Es ist ein Miteinander, kein Gegeneinander. Jeder freut sich mit dem anderen Teilnehmer, ein aufmunterndes 'well done' kommt immer. Toll. Jana und ich stolpern weiter gen Tal, werden von 4 Athleten überholt, die ihre Knie und Hüften gewichtsbedingt offensichtlich weniger spüren (oder nicht solche Koordinationsspasteln sind) wie ich und spüren bald wieder Asphalt unter den Füßen.
Ich stolpere nur noch komatös runter, bin wohl auch nach über 15 Stunden kein schöner Anblick mehr. Überzogen mit Sabber, Nasensekret, angekauten und angetrockneten Riegeln, befleckt mit lustig leuchtender angetrockneter Flüssigkeit ist angesichts des Ziels nurmehr ein lahmer Schweinsgalopp drin, aber ich finishe! Als ich über die Ziellinie laufe reiße ich die Arme über Nabelhöhe hoch und schreie all meine Erleichterung und Freude in den Nachthimmel. Jana schaut mich an und will wissen, ob ich was gesagt hätte. Ich schüttel den Kopf und verziehe mich in das Wechselzelt. Ich überlege, ob meine Übelkeit einen sofortigen Besuch einer bestimmten, mir inzwischen bestens bekannten Örtlichkeit erfordert, beschließe aber, zu kaputt zum Aufstehen zu sein. Dumpf stiere ich auf den Boden, fühle mich leer und fertig und füge der üppigen Flüssigkeitssammlung auf Trikot und Hose noch ein Paar Tränen hinzu. Und bin unendlich glücklich.
Finale Gesamtzeit 15:22 Stunden, 15ter gesamt von 43 Startern und 38 Finishern, ohne Janas Begleitung hätte ich das nicht machen können. Danke dafür.