Laut Duden ist die Qual ein Substantiv und feminin.
Darüber hinaus wird die Qual als länger andauernde, nahezu unerträgliche Empfindung des Leidens beschrieben.
Damit skizziert der Duden unseren Sport kurz und präzise.
Irgendwo zwischen Schreibtisch und Couch beschleicht mich das (für Triathleten normale) Gefühl, dieses Jahr nicht genug in die körperliche Ertüchtigung investiert zu haben. Also biete ich mich als Ersatz für die Mastersmannschaft in Hückeswagen an. An diesem Wettkampf – obwohl in unmittelbarer Nachbarschaft – habe ich noch nie teilgenommen, fühle mich jedoch durch zahlreiches Zuschauen in den vergangenen Jahren ausreichend vorbereitet.
Als mich Didi für die 2. Mastersmannschaft fest einplant verschwindet das Gefühl schlagartig.
Wettkampftag
06:15 Uhr:
Treffen mit meinem Vereinskameraden und Sparringsparter Matthias. Meine senile Bettflucht könnte bei solchen Uhrzeiten hilfreich sein aber gerade an solchen Tagen habe ich das Gefühl, heute wäre es gut mal richtig auszuschlafen.
07:15 Uhr:
Wir trudeln in Hückeswagen ein. Das übliche Prozedere: Startnummern, Wechselzone einrichten… Routine hilft gerade in frühen Morgenstunden, das kenne ich vom Frühstück machen. Es regnet und ich entscheide mich gegen Sonnenmilch. Mein Sparringspartner erinnert mich an eine positive Einstellung und prophezeit Sonne. Dann die erlösende Nachricht: Es wird mit Neo geschwommen. Das gibt nicht nur meinem Körper sondern auch meiner Moral einen gewissen Auftrieb.
08:30 Uhr: Schwimmen
Mit dutzenden anderen Frühaufstehern stehe ich hüfthoch im Wasser. Die Stimme aus dem Lautsprecher erklärt ununterbrochen, um welche Bojen geschwommen werden muss. Jürgen fragt mich, wie denn geschwommen wird. Ich habe es vergessen und antworte: "Einfach den anderen hinterher", ich rechne nicht damit, dass wir das Feld anführen. Der Startschuss hat Ladehemmungen also sagt der Lautsprecher, dass es jetzt losgeht.
09:10 Uhr:
Ich komme aus dem Wasser und fühle mich gut. Die Abweichungen von der Ideallinie hielten sich in Grenzen, die letzten 150 m bin ich langsamer geschwommen. Die Belohnung: mir ist nicht schwindelig. Auf dem Weg zur Wechselzone überhole ich mehre Mitstreiter. Überraschung: Normalerweise muss ich mein Rad nicht suchen, denn es ist das einzige in der Wechselzone. Aber jetzt stehen noch Räder rum.
Das meinte Matthias mit positiver Einstellung: Ich habe den Wettkampf im Griff und nicht der Wettkampf mich.
09:13 Uhr: Radfahren
Ab auf´s Rad. Von den 3 Disziplinen ist Radfahren die am wenigsten Schwächste. Da muss was gehen. Über den Damm, rechts runter Richtung Hückeswagen und dann scharf links auf dem Bürgersteig hoch nach Neye.
Oben angekommen nehme ich mir vor bei der nächsten Runde die positive Einstellung zu suchen, die ich zwischen Hückeswagen und Neye verloren habe. Gefühlt bin ich hundertmal überholt worden. Lediglich einen kleinen Jungen auf seinem Kinderrad habe ich bezwungen. Ich sehe wohl so aus, als ob man sich mit mir messen könnte.
Zwischen Neye und Ortschaften, deren Namen ich bereits beim durchqueren wieder vergessen habe, liegt welliges Gelände. Genau mein Ding, als alter Mountainbiker drücke ich die Wellen in einem Gang durch und bleibe wenigsten in der Ebene an der Oberliga dran.
Dann scharf nach links und wieder runter zur Bevertalsperre. Ich überhole. Das gute Gefühl über die Höchstgeschwindigkeit wird ein wenig von der Kenntnis über die Hangabtriebskraft getrübt. Links auf dem Bürgersteig hoch nach Neye.
Meine verlorene positive Einstellung bleibt unauffindbar also bastele ich mir eine neue.
"Hinten ist die Ente fett" rufe ich.
Hinten ist die Ente fett, die unerschütterliche Wahrheit beim Triathlon. Wartet auf die letzten Runden, wir sehen uns alle wieder.
Die ersten, die ich wieder sehe, sind meine Vereinskameraden aus der Oberliga: Rexi und Jan.
Ich werde gerade überrundet. Die Wahrheit ist fürchterlich, die aufmunternde Worte sind für eine Stimmungsaufbesserung nur bedingt tauglich.
"Bist du auch in Runde 5"?
Ein Mitstreiter schiebt sich neben mich. Die Frage holt mich aus meiner Larmoyanz. "So eine Scheiße habe ich noch nie erlebt" ruft er "ich werde nur überholt. Ich glaube, ich bin letzter."
Ich antworte: "Ja, ich bin auch in der 5. Runde" und denke mir: Wenn ich jetzt überholt werde bin ich letzter. Verlieren ja, Demütigung nein und trete in die Pedale.
Runde sechs: Dank Hangabtriebskraft rase ich wieder runter zur Bever. Ein Triclub-Radler vor mir, ich überrunde Reinhold. Gut, Reinhold ist über 60 und 15 Jahre älter als ich aber das spielt keine Rolle. Ich verwahre mich gegen jede Art von Diskriminierung, Altersdiskriminierung gehört auch dazu.
Runde acht: Es geht zum letzten Mal hoch nach Neye. Ich sehe niemanden wieder, sammle niemanden ein. Für die Laufdisziplin muss eine neue Strategie her.
11:36 Uhr: Laufen
Ich fühle mich gut. Die Beine sind frei, der Magen rebelliert nicht trotz 5 Gels und Geschmacksrichtung Vanille. Was sind schon 21 Kilometer, die laufe ich doch sonst locker in 2 Wochen zusammen. Das Wetter wird immer besser, die Sonne scheint, das Leben ist schön.
Km 5, Axel Bitzer kommt mit federndem Schritt an mir vorbei.
Ich schwöre mir, nicht mehr an Rundkurswettkämpfen teilzunehmen. Rundkurswettkämpfe sind gut für die Zuschauer aber erniedrigend für leicht übergewichtige mittel- bis schlecht trainierte Athleten und beschließe für mich das Wort Athlet gegen Teilnehmer einzutauschen. Apropos Erniedrigung: Hajo kommt an mir vorbei: "Ich bin auch nur 5 km vor dir".
Eine neue Strategie muss her.
Jesaja 42, 3:
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
Ich habe noch 15 km vor mir. Was sind 15 km, einmal Sambatrasse hin und zurück. Ein Klacks, tausendmal gemacht. Die Stategie funktioniert.
Wir alle kennen dieses kleine, hässliche Männlein. Irgendwo, völlig überraschend steht es am Rand der Wettkampfstrecke und schaut sich jeden Teilnehmer auf Schwäche prüfend mit zusammen gekniffenen Augen an. Bei mir steht es bei km 12, ich versuche es zu ignorieren, schaue vorbei und laufe bewusst locker.
Das Männlein hat einen großen Hammer dabei. "Du" ruft es mir entgegen und schlägt zu.
Noch 9 km, neun unendliche lange Kilometer. Ich habe keine Strategie mehr.
Ein kleines Mädchen reicht mir einen nassen Schwamm, "frisch eingetaucht" wie sie mir versichert. Die Kleine schaut mich mitleidig an, wie einen Teddy, dem gerade die Füllung aus dem Bauch quillt und ein Auge an einem langen Faden herab hängt. Bei mir quellen nasse Schwämme aus dem Einteiler und beide Augen hängen aus den Höhlen. Dazwischen hängt meine Zunge. Sie versteht die Erwachsenenwelt nicht. Warum tut man sich so etwas an, freiwillig? Ich möchte es ihr erklären aber mir fällt keine Erklärung ein, nicht eine einzige.
Wer ist auf die idiotische Idee gekommen, Mittel- und Sprintdistanz gleichzeitig auf die Strecke zu lassen. Die Athleten der Landesliga rasen an mir vorbei. Ich strecke bei einem Zaun die Hand aus, prüfe ob ich mich noch bewege. Die Überrundung von Dietmar nehme ich nur noch beiläufig wahr. Unterhalb von Stolz ist nur noch blanker Überlebenswille. Darum geht es, das ist ab jetzt mein Fokus.
13:44 Uhr: Das Ziel
Ich bewege mich durch das Ziel, kriechend, durstig.
Cola, Wasser, Cola, Wasser. Im Schatten liegend nehme ich Gratulationen entgegen.Wofür? Dass ich überlebt habe?
Rolf bringt mir noch 2 Cola. Stimmen fragen, wie es mir geht. Die Besorgnis in den Stimmlagen legen die Vermutung nahe, dass man mir ansieht, wie es mir geht.
20 min später liege ich immer noch im Schatten. Alles tut weh, ich habe keinen blassen Schimmer von meiner Endzeit aber dafür eine deftigen Sonnenbrand und einen Vorsatz. Wenn ich nächstes Jahr wieder in Hückeswagen starte werde ich besser sein.
Aber vorher blättere ich im Duden nach der genauen Bedeutung von Masochismus.
Gruß vom Teilnehmer Hacki